Ob äußere Ereignisse bei jemandem Stress auslösen hängt von dessen inneren Bewertungen und Wertvorstellungen ab. Der Selbstwert bzw. das Selbstwertgefühl stellt dabei einen entscheidenden Faktor dar, wenn es um Stressbewältigung oder Vermeiden von Burnout geht. Dass ein gutes Selbstwertgefühl wichtig ist, wissen viele. Doch wie entsteht Selbstwert und wie kann man ihn erhöhen? – Autor: GS
Zu diesem Thema habe ich ein interessantes Interview mit der Professorin Astrid Schütz von der Universität Bamberg in Psychologie heute compact Heft 38 (1) gefunden. In diesem Artikel spricht Prof. Schütz von drei Quellen, die den Selbstwert speisen:
- Die Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit
- Soziale Vergleiche
- Soziale Rückmeldungen
Diese Aufzählung hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich denke, dass die Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit, also des eigenen Schaffens und Gelingens, in der heutigen westlichen Gesellschaft weniger erlebt wird als früher.
In der Berufswelt arbeiten viele Menschen in großen Organisationen. Sie führen nur mehr Teilschritte eines großen Prozesses aus und sehen oft wenig Resultate als Folge ihres eigenen Schaffens. Welcher Mitarbeiter der Buchhaltung sieht den Gewinn des Konzerns als seine eigene Leistung? Führungskräften bleibt oft zu wenig Zeit, um den Mitarbeitern Feedback zu erledigten Aufgaben zu geben und zu kommunizieren, wie wichtig deren Beitrag zum Erfolg ist.
Ebenso im Privatleben. Wer kennt nicht das gute Gefühl, ein IKEA Kästchen selbst zusammengebaut oder ein tolles schmackhaftes Gericht gekocht zu haben? Doch ich habe den Eindruck, dass diese Ereignisse aus Zeitmangel oft eingespart werden. Man kauft dann doch schon ein fertiges Möbel oder bestellt sich eine Pizza anstatt selbst Hand anzulegen.
Wenn wir nun unseren Selbstwert weniger aus dem ersten Punkt der Aufzählung von Prof. Schütz schöpfen können, bekommen die anderen beiden Punkte mehr Gewicht. Mehr soziale Vergleiche, und somit mehr Konkurrenzdenken führen zu mehr Bewertungen, zur Einteilung in Gewinner und Verlierer. Situationen in Gemeinschaften, in denen jeder besser sein will als der andere, erzeugen Druck und lösen Stress aus. Dies gilt auch für die Gewinner. Sie müssen stets ihren Status verteidigen. Für eine gute Stressresistenz und für ein gutes Zusammenleben aus gesellschaftlicher Sicht sind also soziale Vergleiche nicht die ideale Quelle für Selbstwert.
Wie sieht es mit dem dritten Punkt aus? Positive soziale Rückmeldungen und Anerkennung machen stolz. Gleichzeitig entsteht meiner Meinung nach eine gewisse Abhängigkeit. Wenn man gewohnt ist viel Lob zu bekommen, kann man schwer ohne dieses auskommen. Der positive Effekt währt immer kürzer und man wird süchtig nach weiterer Anerkennung. Bleibt sie aus, sinkt auch der Selbstwert wieder.
Vergleiche ich nun die drei genannten Quellen des Selbstwerts miteinander, erscheint mir die erstgenannte günstiger als die anderen beiden. Ein Selbstwert, der sich aus sozialen Vergleichen und Rückmeldungen speist, erscheint mir weniger stabil. Eine Krise von außen wie zum Beispiel Jobverlust kann das Selbstwertgefühl sehr schnell erschüttern. Ein Selbstwert hingegen der hauptsächlich durch das Erleben des eigenen Gelingens gestärkt wird, ist widerstandsfähiger gegenüber Einflüssen der Umwelt. Auch Astrid Schütz meint in dem Interview, dass die Wahrnehmung der eigenen Wirksamkeit die beste der drei Quellen sei.
Was hieße das für die Arbeitswelt? Es wäre wichtig, dass Arbeiter und Angestellte eigene Arbeitspakete erhalten, deren Ergebnis sie als eigene Leistung beanspruchen können: eine gelungene Präsentation, ein geputzter blitzblanker zweiter Stock, ein gelungenes Projekt oder ein fehlerfreier Produktionsschritt. Gleichzeitig sollten sich Führungskräfte bemühen, den Mitarbeitern Ergebnisse und Teilerfolge durch erledigte Aufgaben bewusst zu machen.
Ebenso sollten wir im Privatleben möglichst viel selbst schaffen, vor allem bei den kleinen Dingen des Lebens. Wir sollten uns bewusst werden, wie befriedigend es sein kann, ein schönes Beet im Garten angelegt oder ein Elektrogerät repariert zu haben.
Was bedeutet nun Selbstwert für Stressbewältigung und Burnoutprophylaxe? Ich bin davon überzeugt, dass uns ein höherer und stabilerer Selbstwert stressresistenter und achtsamer gegenüber Belastungen von außen macht. Es wäre wichtig, dass wir wieder größeres Augenmerk auf das eigene Schaffen richten, damit wir wieder das Leuchten in den Augen haben, das uns Kinder zeigen, wenn sie ein Legohaus gebaut oder eine Puzzle zusammengefügt haben.
(1) Schönberger, Birgit (2014): Das ewige Auf und Ab – Was den Selbstwert stärkt – und was ihn schwächt. In: Psychologie heute compact 2014 Heft 38, S. 8-13
Um diesen Artikel zu kommentieren bitte hier klicken
Schreibe einen Kommentar