Meine letzte Grippe habe ich mir bei einem Seminar eingefangen. Zwei Teilnehmer aus der Gruppe waren stark erkältet und ihre Viren haben sich in der trockenen Luft des kleinen Schulungsraums wunderbar ausbreiten können. Bis dahin hatte ich die Grippewelle wochenlang von mir ferngehalten, doch am Ende des zweiten Seminartags lag auch ich darnieder. Ich war ziemlich sauer und habe mich gefragt, warum Menschen, die eigentlich das Bett hüten sollten, trotzdem zur Arbeit gehen. Welche Auswirkungen hat das Phänomen Präsentismus, was hat es mit Burnoutprävention zu tun und wie könnte man gegensteuern? Autor: GF

Eigentlich ist es nichts Neues. Seit einiger Zeit gibt es nun aber auch einen Namen dafür, wenn jemand trotz Krankheit zur Arbeit geht bzw. für verringerte Arbeitsleistung aufgrund gesundheitlicher Probleme: Präsentismus[1]. Im Zusammenhang mit Themen des betrieblichen Gesundheitsmanagements taucht der Begriff in den letzten Jahren immer häufiger auf. Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit haben viele Mitarbeiter Angst ihren Job zu verlieren, falls Sie zu lange oder zu häufig im Krankenstand sind. Aber auch Mitarbeiter, deren Arbeitsplatz nicht bedroht ist, nehmen sich oft keine Zeit zum Auskurieren einer Krankheit. Bevor man Kollegen oder wichtige Projekte warten lässt, greift man lieber zu stärkeren Medikamenten und akzeptiert, dass ein Tag mit Paracetamol und Konsorten halt auch einmal erschöpfter und unkonzentrierter abläuft als sonst.

Präsentismus als Ursache und Warnsignal für Burnout

Was viele aber nicht bedenken: Wer krank zur Arbeit geht anstatt sich zu schonen, riskiert, dass sich sein Zustand über längere Zeit nicht verbessert bzw. dass Krankheiten auch verschleppt und nicht selten auch chronisch werden können. Dazu kommt, dass ein kranker Mitarbeiter weniger leistungsfähig und anfälliger für Fehler ist. Und, dass er womöglich seine Kollegen und alle, die mit ihm in Kontakt stehen, ebenfalls ansteckt und damit eine größere Epidemie auslösen kann.

Oft sind es ja die nimmermüden, besonders fleißigen und engagierten Mitarbeiter, die prädestiniert dafür sind, in eine Burnout-Erkrankung zu rutschen. Die gleichen sind es auch, die sich keine Zeit fürs Kranksein nehmen. Wer ständig das Gefühl hat, dass er unentbehrlich ist, dass ohne ihn die Welt untergeht und er immer für seinen Job da sein muss, auf dem lastet ein großer Druck. Dieser psychische Druck in Verbindung mit nicht zur Gänze ausgeheilten Erkältungen oder anderen körperlichen Beschwerden, kann unter Umständen der letzte Stein am Weg ins Burnout sein.

Andererseits ist es auch typisch für Burnout gefährdete Menschen, dass sie ab einem gewissen Stadium körperliche Warnsignale ignorieren oder auch nicht mehr spüren. Insofern kann Präsentismus auch ein wertvolles Zeichen für Vorgesetzte sein, um zu erkennen, wann ein Mitarbeiter es mit seinem Engagement und Herzblut für den Betrieb übertreibt. Wichtig wäre dann, ein wertschätzendes, klärendes Gespräch zu suchen, indem besprochen wird, wie es dem Mitarbeiter wirklich geht.

Arbeit oder Gesundheit – was kommt zuerst?

Aber warum gehen wir denn nun krank zu Arbeit? Ich denke, es sind unterschiedliche Motive, die Menschen in den Präsentismus treiben. Einerseits sind es natürlich äußerliche Faktoren wie z.B. Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes oder mangelnde Arbeitsorganisation wie z.B. keine Vertretungsregelungen.

Andererseits gehört zu einem gesunden Umgang mit Krankheit auch eine entsprechende Unternehmenskultur. Wenn der Chef selbst mit Fieber und Husten im Büro sitzt oder vom Krankenbett aus seine Anweisungen gibt, dann hat das eine starke Signalwirkung auf sein Team. Ich habe tatsächlich (kein Scherz!) auch schon von Firmen gehört, in denen der Vorgesetzte beim kranken Mitarbeiter zu Hause anruft und fragt, wann er denn endlich wieder zurück im Betrieb ist. Dass das nicht sehr förderlich für die Motivation und den Stresslevel der Mitarbeiter ist, kann man sich ausrechnen.

Der wesentlichste Grund für Präsentismus liegt aber wohl in unserer Persönlichkeit selbst. Vielen Menschen – und ich nehme mich davon nicht aus – schmeichelt es, dass der Laden ohne sie nicht läuft. Gebraucht zu werden suggeriert, dass wir gut sind im Job und dass wir Anerkennung finden für das was wir tun. In Wirklichkeit gilt aber das alte Sprichwort: Jeder ist ersetzbar. Hinter unserem überzogenen Wunsch, unentbehrlich zu sein, stehen häufig angelernte und tiefverankerte Glaubenssätze und Einstellungen wie z.B. Auf mich muss zu 100% Verlass sein. Vieles schauen wir uns da schon in frühen Jahren von unseren Vorbildern ab. Da hilft nur sich einmal klar zu machen, was wirklich zählt im Leben. Und sich zu fragen, ob der tollste Job es wert sind, seine Gesundheit ernsthaft aufs Spiel zu setzen.

Selbsterkenntnis ist der erste Weg …

Auch ich war lange Zeit eine von „denen“. Wenn es irgendwie ging, schleppte ich mich auch krank ins Büro, putschte mich mit Medikamenten auf und erledigte die Dinge, die unbedingt getan werden müssen, damit die Welt nicht untergeht. Heute würde ich das nicht mehr tun. Weil meine Gesundheit an erster Stelle steht und ich verstanden habe, dass wir alle nur diesen einen Körper hier zum Leben haben. Es hat aber auch damit zu tun, dass ich keinem Chef, keinen Kollegen und keinem Konzern, sondern nur mir selbst und meinen Kunden verpflichtet bin. Und die würden es vermutlich sehr eigenartig finden, wenn eine Beraterin für betriebliche Gesundheitsförderung krank einen Workshop moderiert.

In dieser Rolle ermutige ich Unternehmen auch gerne dazu, Krankenstandstage nicht nur als etwas Schlechtes zu sehen. Sie zeugen nämlich auch davon, dass Mitarbeiter schon bewusst mit ihrer Gesundheit umgehen und so rasch wie möglich fit werden wollen, um wieder produktiv und motiviert an die Arbeit gehen zu können.

 

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[1] Hägerbäumer, Miriam (2011): Ursachen und Folgen des Arbeitens trotz Krankheit – Implikationen des Präsentismus für das betriebliche Fehlzeiten- und Gesundheitsmanagement. Universität Osnabrück. S. 64

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