„Auf mich muss zu 100% Verlass sein.“ „Ich bin dafür verantwortlich, dass es alle gut haben.“ „Ich darf keine Schwäche zeigen.“ Innere Antreiber, im Englischen übrigens sehr treffend als „Musturbations“ (engl. must = muss) bezeichnet, verstärken Stresssituationen in unserem Alltag und machen uns damit das Leben schwer. Diese Glaubenssätze und Einstellungen haben wir über lange Jahre, ja oft über Jahrzehnte gelernt, für richtig befunden und somit fest in unserem Kopf verankert. Gerade deshalb fällt es auch schwer, sich diese Antreiber wieder „abzugewöhnen“. Woher sie kommen, was sie über uns aussagen und wie wir besser mit unseren Stressverstärkern umgehen können, darum dreht sich der folgende Blogbeitrag. – Autor: GF
Jeder von uns hat ihn im Kopf, den kleinen Mann mit der Peitsche, der uns ein schlechtes Gewissen einzureden versucht und uns antreibt, häufig bis in die Selbstüberforderung. Innere Antreiber sind stressverschärfende Gedanken, mit denen wir uns selbst unter Druck setzen. Häufig sind diese gekoppelt mit zu hohen Erwartungen an uns selbst: Wir glauben etwas tun zu müssen, für jemanden da sein zu müssen oder jemanden nicht enttäuschen zu dürfen, obwohl dieser Glaube im Außen gar nicht begründet ist. Situationen, die uns im Alltag begegnen, werden damit überhaupt erst zum Stressor bzw. werden stressige Ereignisse durch unsere Antreiber noch verstärkt. So kann z.B. eine ganz normale Aufgabe in der Arbeit erst durch Perfektionismus, Einzelkämpfertum oder Ungeduld zum angsteinflößenden Stresserlebnis mutieren.[1]
Woher unsere Antreiber kommen
Wir alle sind in einem bestimmten Umfeld aufgewachsen, erzogen worden und geprägt von den Menschen, die uns dort als Vorbilder gedient haben: Unseren Eltern, Familien-mitgliedern, der Dorfgemeinschaft, unseren Lehrern oder anderen „Idolen“. Als Kind lernen wir vor allem, indem wir uns Dinge abschauen und sie nachahmen. Wir übernehmen Verhaltensweisen, Einstellungen und Werte unserer Vorbilder in unser Denken und Tun. Vieles davon ist ganz wichtig für unsere Entwicklung. Manches nehmen wir uns aber auch zu sehr zu Herzen oder verabsäumen, die Werte und Einstellungen unserer damaligen Vorbilder auf ihre Gültigkeit für unser Erwachsenenleben hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu adaptieren. Dann kann es sein, dass diese Werte uns einbremsen statt uns zu beflügeln, uns belasten statt uns Orientierung zu geben.
Gerne bringe ich an dieser Stelle meine eigene Geschichte als Beispiel: Ich bin auf einem Bauernhof in einem recht konservativen Umfeld aufgewachsen. Meine Eltern haben als Landwirte tagein tagaus gearbeitet. Einen Urlaub mit uns Kindern gab es nie, zum Ausrasten war der Sonntag da und es herrschte der Tenor: Wer nichts arbeitet, ist nichts wert. Dass ich im Erwachsenenalter zu einem nimmermüden Arbeitstier geworden bin und es nicht im geringsten komisch fand, bis spät nachts vor dem Laptop zu sitzen, ist Ausdruck jener Einstellungen und Werte, die ich mir damals als Kind angeeignet habe.
So oder so ähnlich geht es ganz vielen von uns, wenn wir von unseren Antreibern gesteuert und belastet werden: Wenn wir z.B. nicht mehr Nein sagen können, weil wir von unseren Eltern gelernt haben, stets hilfsbereit zu sein. Oder wenn wir uns selbst nicht mehr vertrauen, weil uns früher immer eingetrichtert worden ist, bloß vorsichtig durchs Leben zu gehen.
Die 5 häufigsten Stressverstärker
In der Literatur finden sich einige verschiedene Konzepte rund um die inneren Antreiber. Dort werden auch Stressverstärker wie „sei schnell“, „sei gefällig“ oder „streng dich an“ genannt. Wir Autoren arbeiten mit dem Konzept von Dr. Gert Kaluza, einem renommierten deutschen Psychotherapeuten und Coach. Kaluza beschreibt in seinem Buch die folgenden 5 Stressverstärker als jene, die am häufigsten vorkommen[2]:
- Sei perfekt! Dahinter stecken ein starkes Leistungsmotiv sowie ein überzogener Wunsch nach Anerkennung. Menschen, bei denen dieser Antreiber stark ausgeprägt ist, gelten als sehr akribisch und detailverliebt. Sie gehen, wenn es sein muss, auch krank zur Arbeit und sind im Urlaub immer für Kollegen oder den Chef erreichbar. Alles nur um sicherzustellen, dass in ihrem Verantwortungsbereich alles perfekt abläuft. Die positive Absicht hinter diesen Verhaltensweisen ist, fehlerfreie Arbeit abzuliefern. Das wird aber immer dann zum Stressfaktor, wenn kurzfristige Aufgaben anstehen und der „Sei perfekt“-Typ in Zeitdruck gerät.
- Sei beliebt! Menschen mit diesem Antreiber leiden – salopp gesagt – am „Helfersyndrom“. Häufig steckt ein überzogener Wunsch nach Zugehörigkeit und Angenommensein dahinter, kombiniert mit einer großen Angst vor Kritik und Ablehnung. Wer getrieben ist vom Stressverstärker „Sei beliebt“, der tut sich schwer dabei Nein zu sagen und stellt damit häufig seine eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund. Alles mit der Absicht, so gut es geht die Interessen anderer zu berücksichtigen und es möglichst allen recht zu machen. Stressquellen für „Sei beliebt“-Typen sind Konfliktsituationen oder wenn sie unpopuläre Entscheidungen zu treffen haben.
- Sei stark! „Sei stark“-Typen sind häufig mit der Einstellung „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ aufgewachsen. Daraus ist ein überzogener Wunsch nach Selbstbestimmung entstanden und das Gefühl, auf keinen Fall Schwäche zeigen zu dürfen, wie hart eine Situation auch sein mag. Solche Menschen tun sich schwer damit, Hilfe anzunehmen und tendieren auch dazu, Probleme und Sorgen mit sich selbst auszumachen anstatt sich jemandem anzuvertrauen. Stressig und unangenehm wird es für sie dann, wenn sie Hilfe annehmen müssen, z.B. weil sie krank sind oder sie vor einer Herausforderung stehen, die sie wirklich nicht allein bewältigen können.
- Sei vorsichtig! Hintergrund dieses Antreibers ist ein starkes Bedürfnis nach Kontrolle über sämtliche Lebenssituationen. „Sei vorsichtig“-Typen haben große Angst davor, ein mögliches Risiko zu übersehen und gehen lieber immer auf Nummer sicher. Sie neigen dazu, Dinge x-mal zu überprüfen, sind ungern spontan und Entscheidungen zu treffen, kostet ihnen viel Zeit und Kraft. Ihr Bestreben, unnötige Risiken im Leben zu vermeiden, treibt sie besonders dann in den Stress, wenn etwas Unerwartetes oder Unplanbares vor ihnen liegt.
- Ich kann nicht! Dieser Antreiber heißt nicht nur anders, er führt seine „Vertreter“ auch nicht in die Selbstüberforderung sondern – ganz im Gegenteil – eher in eine Schonhaltung. „Ich kann nicht“-Typen haben schon früh gelernt, dass sie „eh nichts auf die Reihe bringen“ und sich lieber auf die Hilfe anderer verlassen. Daraus resultiert, dass sie sich im späteren Leben oft selbst nichts mehr zutrauen. Als typisch gilt, dass sie am liebsten Routineaufgaben übernehmen, also all jene Dinge, die einfach und mit wenig Aufwand zu bewältigen sind. Ziel dieser Verhaltensweisen ist, achtsam mit den eigenen Grenzen umzugehen. Stress entsteht hier immer dann, wenn eine schwierige oder aufwändige Aufgabe ansteht.
Bei wohl nahezu jedem Menschen sind einer oder mehrere dieser Antreiber stärker ausgeprägt. Um herauszufinden, welcher das bei Ihnen persönlich ist, gibt es zahlreiche Online-Fragebögen bzw. die „Checkliste stressverschärfender Gedanken“ in Dr. Kaluza’s Buch.[3]
Wie wir unsere inneren Antreiber in den Griff bekommen
Wir wissen nun also, woher unsere Antreiber kommen und wie sie sich im Alltag zeigen. Wie aber können wir ihnen Herr werden und damit verhindern, dass sie unseren Alltag bestimmen? Dafür gibt es viele mögliche Strategien, wie z.B. Psychotherapie oder auch Hypnose. Einen niederschwelligeren Zugang zur Bewältigung innerer Antreiber findet man in der sogenannten „kognitiven Umstrukturierung“. Diese Methode ist auch sehr gut dafür geeignet, kurzfristige Erfolge zu erzielen.
Sobald Sie Ihre persönlichen Stressverstärker identifiziert haben, geht es hierbei darum, Glaubenssätze zu entkräften, stressvermindernde, positive Einstellungen zu entwickeln und den Kopf damit auf andere Gedanken zu bringen. Das können Sätze sein wie „Fehler bringen mich weiter“, „Ich vertraue meinen Fähigkeiten“ oder „Ich kann es nicht allen recht machen“. Welcher Satz für Ihren persönlichen Antreiber das richtige „Gegenmittel“ darstellt und in stressigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren lässt, das lässt sich leider nicht in einem allgemeinen Blogartikel klären. Vielmehr bedarf es hier einem intensiven Auseinandersetzen mit Ihren individuellen Stresssituationen: Was könnte schlimmstenfalls passieren? Was denkt jemand, den die Situation weniger belastet als mich? Was kann ich daraus lernen? Mit diesen oder ähnlichen Fragen nähert man sich in der kognitiven Umstrukturierung seinem ganz persönlichen, stressvermindernden Satz. Das kann entweder in einem Gruppentraining zur mentalen Stressbewältigung oder im Zuge eines Einzelcoachings erfolgen. Praktische Anhaltspunkte gibt Dr. Kaluza im Anhang seines Buches, wo er mögliche förderliche Gedanken für jeden der 5 Antreiber vorstellt.[4]
Wem es gelingt, seine persönlichen Stressverstärker zu identifizieren, stattdessen neue, stressvermindernde Einstellungen zu entwickeln und diese auch langfristig in seinem Kopf zu verankern, der hat damit ein wirklich schlagkräftiges Instrument gegen seinen inneren Stress gefunden. Nicht umsonst gilt die kognitive Umstrukturierung als einer der stärksten Hebel in der Stressbewältigung und Burnoutprävention.
[1] Kaluza, Gert (2011): Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Springer-Verlag GmbH: Berlin und Heidelberg. S. 13
[2] Kaluza, Gert (2011): Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Springer-Verlag GmbH: Berlin und Heidelberg. S. 215f.
[3] Kaluza, Gert (2011): Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Springer-Verlag GmbH: Berlin und Heidelberg. S. 213f.
[4] Kaluza, Gert (2011): Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Springer-Verlag GmbH: Berlin und Heidelberg. S. 218
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