Wir leben in einer Welt des Überflusses. Wir haben genug zu essen, jede Menge Kleidung und die Unterhaltungsmöglichkeiten sind sehr vielfältig. Doch das Überangebot macht uns nicht nur glücklich. Bewusster Verzicht kann uns helfen nicht den Kontakt zu unseren eigenen Bedürfnissen zu verlieren. Ein Erfahrungsbericht aus der Sicht der Stressbewältigung und der Burnoutprophylaxe. – Autor: GS

Inspiriert durch eine Freundin beschloss ich letzten Juli, mir ein Jahr lang keine Bekleidung zu kaufen. Wer mich kennt, der weiß, dass dies für mich kein großes Opfer ist. Shopping in Modegeschäften war für mich ein notwendiges Übel, meist nahm ich es einmal auf mich, um mich für das ganze Jahr einzudecken. Danach musste ich krampfhaft in meinem Kleiderschrank nach Platz für die neuen Errungenschaften suchen, meist mit der Konsequenz, dass noch durchaus passable Pullover oder Hosen in der Altkleidersammlung landeten. Diese Bürden musste ich nun nicht mehr auf mich nehmen.

Ich genoss die erste Zeit, entdeckte lang vergessene Kleidungsstücke wieder, sortierte nur Teile aus, die löchrig wurden und hatte das erste Mal seit langem Platz im Schrank. Dann kam der Winter und mir fiel wieder ein, dass ich die letzten schneefesten Schuhe im Frühling entsorgt hatte. In der Not griff ich bei Schneefall auf meine Bergschuhe zurück. Zudem gab es jetzt öfter Gelegenheiten, wo ich mir wünschte, wieder einmal ein neues modisches Hemd oder ein trendiges T-Shirt anziehen zu können. Ich habe mich nie eitel gefühlt, nun wurde mir doch bewusst, dass ich doch gerne schöne Kleidung anhabe und einen guten ersten Eindruck hinterlassen möchte.

Die Erfahrung hat mir wieder mehr über mich selbst verraten und ich freue mich schon auf die neuen Kleidungsstücke, die ich mir im Juli zulegen werde.

Eine weitere Verzichtserfahrung ist nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken. Einmal im Jahr begebe ich mich 4 Tage ins Kloster. In dieser Zeit spreche ich kaum und bin die meiste Zeit allein. Ich gehe spazieren, lese und denke über das Leben nach. Am Anfang dieser Zeit genieße ich es mit niemanden reden zu müssen und mir den Tag so zu gestalten wie ich will, ohne Rücksicht auf andere. Nach 1-2 Tage merke ich dann wie mir der Umgang mit anderen Personen fehlt und gegen Ende des Aufenthalts sehne ich mich schon nach Kontakt mit anderen Menschen. Nach diesen stillen Tagen bin ich dann in Gesprächen mit anderen viel aufmerksamer und genieße den Dialog.

Der Verzicht hat für mich zwei positive Auswirkungen. Zum einen bin ich achtsamer auf meine Bedürfnisse. Wenn man immer nur den Überfluss kennt und nie den Mangel, dann stumpfen die Sensoren ab, die ermessen wieviel man von einer Sache braucht. Durch den Verzicht spüren wir wieder mehr was wir wirklich brauchen.

Zum anderen bewirkt ein Verzicht über eine gewisse Periode, dass wir nachher wieder mehr und intensiver genießen. Das erste Stück Schokolade schmeckt nun mal besser als das zehnte oder zwanzigste.

Welche Relevanz hat dies nun für Stressbewältigung und Burnoutprävention? Die eigenen Bedürfnisse besser kennenzulernen und wahrzunehmen, hilft sich besser abzugrenzen, früher zu wissen, wenn etwas genug ist. Intensiver Genießen bedeutet andererseits sich gut zu erholen und Ressourcen zu stärken. Beide genannten Aspekte sind gute Methoden um Stress besser bewältigen zu können.

Beispiele worauf man alles verzichten kann, gibt es viele: Einen Monat kein Fernsehen, zwei Wochen keine Süßigkeiten, kein Alkohol in der Fastenzeit oder vier Wochen kein Facebook. Mein Tipp dabei ist, sich nicht gleich am Anfang die schwierigsten Themen auszusuchen, wie etwa nicht mehr Rauchen oder zwei Monate nur die Hälfte zu essen. Meine Erfahrung ist, dass wenn man mit einfacheren Dingen beginnt, es leichter wird auch seinen größeren Lastern eine Zeit lang zu entsagen. Die Freude am Verzicht nimmt einfach zu!

Artikel Download

Facebooktwitterpinterestlinkedinmail