Flexible Arbeitszeitmodelle halten immer mehr Einzug in Unternehmen. Besonders das Konzept Teleworking, d.h. arbeiten von zu Hause aus, erlebt aktuell lt. Experten einen neuen Frühling.[1] Aber bringt diese neue Autonomie wirklich nur Gutes oder verbirgt sich dahinter gar eine neue Stressfalle? Ein Bericht auf orf.at mit dem Titel „Flexibilität am Rande der Ausbeutung“ hat mich dazu angeregt, einen Blogbeitrag zu schreiben und auch meine eigenen Erfahrungen mit dem Thema „Flexibles Arbeiten“ mit Ihnen zu teilen. – Autor: GF
Es scheint ein Patentrezept für all jene zu sein, die sich mehr Unabhängigkeit und selbstbestimmtes Arbeiten wünschen. Ursprünglich wurde Teleworking – auch als Homeworking oder arbeiten im Homeoffice bezeichnet – entwickelt, um Beruf und Familie besser vereinbaren zu können. Heute schätzen es auch Mitarbeiter ohne Kinderbetreuungspflichten, von zu Hause aus zu arbeiten. In einer Welt gewandelter Werte, in der die vielzitierte Generation Y immer mehr Fokus auf Familie, Freizeit und Gesundheit legt, sind Arbeitgeber fast gezwungen, sich den Bedürfnissen und Lebensmodellen ihrer Mitarbeiter anzupassen. Mehr Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeit und –ort wird notwendig.
Sich hin und wieder den langen Weg ins Büro ersparen. Gemütlich im Pyjama Emails beantworten. Mitten am Vormittag zum Yoga oder den prüfenden Blicken des Chefs einen Tag lang entgehen: Wer wünscht sich das nicht? Was flexibel ist und deshalb so wunderbar leicht und frei klingt, braucht aber mehr Kontrolle als vielleicht angenommen. Selbstkontrolle nämlich. Flexible Arbeitszeitgestaltung hat auch Schattenseiten und muss deshalb genau geregelt sein. Und sie ist nicht für jedermann und jederfrau gleichermaßen geeignet.
Falle 1: Freifahrschein für unbegrenztes Arbeiten
Wer fernab des Büros seine Arbeit erledigen kann, genießt meist besonderes Vertrauen von seinem Arbeitgeber. Zuhause kontrolliert nicht der Chef, sondern der Mitarbeiter selbst, wann und wie lange er vor dem PC sitzt. Das ermöglicht nicht nur freie Zeiteinteilung, sondern birgt auch die Gefahr, dass ohne Punkt und Komma gearbeitet wird. Wer mit Herzblut an seinen Projekten werkt, sich unabkömmlich für die Firma fühlt und sich auch an den Wochenenden dazu hinreißen lässt, seine Mails zu checken, läuft Gefahr, nicht mehr aus dem Hamsterrad auszusteigen. Fehlende Pausen und zu kurze Erholungsphasen zwischen den Arbeitstagen sind fatal und machen sich spätestens dann bemerkbar, wenn der Körper durch langfristige Belastung schlapp macht.
Falle 2: Pyjamaparty statt Vertriebskonzept
Aber auch das Gegenteil ist möglich. So wie es Mitarbeiter gibt, die sich in ihrem Engagement einbremsen müssen, gibt es auch solche, die Anleitung und Kontrolle brauchen, um in die Gänge zu kommen und ihre Aufgaben zu erledigen. In den eigenen vier Wänden lauern neben Ruhe für ungestörtes Arbeiten auch Wäscheberge, die Lieblingsserie im TV oder Kinder, die Aufmerksamkeit suchen. Das alles kann ja praktisch nebenbei erledigt werden und ist im Grunde auch in Ordnung, wenn denn die Arbeit nicht zu kurz und die Videokonferenz mit den Kollegen nicht zur Pyjamaparty verkommt. Neben einem Gespür für die eigenen Grenzen, gehört also auch Disziplin zu den wichtigsten Zutaten für gelungenes Teleworking.
Falle 3: Isolation
In Ruhe konzentriert arbeiten, lang Aufgeschobenes abseits des hektischen Büroalltags erledigen: Keine Frage, wer im stillen Kämmerchen sitzt, ist oft produktiver als inmitten seiner Kollegen und klingelnder Telefone. Wenn Homeworking aber überwiegt und sich der Kontakt zu den Kollegen auf Chatprogramm und Email beschränkt, droht auch irgendwann ein Gefühl der Isolation. Es ist eines unserer Grundbedürfnisse und damit auch ein wichtiger Faktor in Sachen Burnoutprävention, sich auszutauschen, unter Menschen zu sein und Ansprache zu bekommen. Und die gibt es im Großraumbüro nun mal mehr als alleine zu Hause. Wie wichtig der tägliche Kaffeeklatsch am Morgen oder das gemeinsame Mittagessen für Kreativität, Firmenkultur und Motivation sind, erkennen auch immer mehr Unternehmen, die ihre flexiblen Homeworking-Angebote nun wieder einschränken. „Es hat überhandgenommen, wir hätten unsere Leute gerne mehr im Büro“, so HP Personalchefin Birgit Aichholzer.[2]
Meine eigene Erfahrung mit dem Thema Telearbeit war grundsätzlich eine gute. Ich hatte mich über die Möglichkeit, ungeschminkt in meiner Gemütlichkeitshose am Küchentisch arbeiten zu können, sehr gefreut. Während meiner Homeoffice-Tage war ich auch wirklich konzentriert und produktiv bei der Sache. Leider meistens schon ab 5 Uhr morgens oder auch mal bis 10 Uhr am Abend. Das Wegfallen sämtlicher Kontrolle von außen hat mich fast rund um die Uhr arbeiten lassen. Ich war im Modell „Vertrauensarbeitszeit“ nicht mehr verpflichtet Arbeitszeitaufzeichnungen zu führen und musste mich deshalb – innoffiziell – auch nicht mehr an die gesetzliche Maximalarbeitszeit von 10 Stunden pro Tag halten. Alleine zuhause war ich auch den mitleidigen Blicken meiner Kollegen nicht ausgesetzt, wenn ich mal wieder die Erste und die Letzte im Büro war. Die Leidenschaft für meinen Job und das Streben, die nicht enden wollende Menge an Projekten zuverlässig zu erledigen, haben mich persönlich in eine Sackgasse getrieben. Damals konnte ich die Verantwortung für meinen Bereich und meine Mitarbeiter sehr gut und erfolgreich übernehmen, für mich selbst jedoch nicht. Als Selbständige arbeite ich nun täglich von meinem Homeoffice aus. Aus meiner Erfahrung als Angestellte habe ich gelernt, dass das nur mit Disziplin, Selbstkontrolle und Achtsamkeit mir selbst gegenüber funktioniert.
Neben mündigen Mitarbeitern braucht es aber auch mündige Führungskräfte, die ihren Angestellten die richtige Dosis an Unabhängigkeit und Freiheit gewähren. Und die trotzdem ihrer Obsorgepflicht nachkommen. Diese besteht für den Arbeitgeber rechtlich nämlich auch, wenn seine Angestellten von zu Hause aus arbeiten. Genauso ist selbstverständlich auf die Einhaltung arbeitsrechtlicher Rahmenbedingungen zu achten. Unter diesen Bedingungen kann flexibles Arbeiten seine wahren Potentiale entfalten, die Work-Life-Balance von Mitarbeitern unterstützen und kann zusätzlich Innovationskraft und Teamspirit im Unternehmen erhalten bleiben.
Ob und in welchem Ausmaß Teleworking Sinn macht, muss also für jeden individuell beurteilt werden. Dabei sollte zum einen jeder Arbeitnehmer für sich prüfen, ob Arbeiten im Homeoffice für ihn beruflich und privat passt. Zum anderen sollen auch Vorgesetzte auf individuelle Lösungen für ihre Mitarbeiter achten.
Um diesen Artikel zu kommentieren, klicken Sie hier
[1] Orf.at (2015): „Telearbeit: Flexibilität am Rande der Ausbeutung“, online unter http://orf.at/stories/2268424/2267669/ (20.5.2015)
[2] Orf.at (2015): „Telearbeit: Flexibilität am Rande der Ausbeutung“, online unter http://orf.at/stories/2268424/2267669/ (20.5.2015)
0 Kommentare
1 Pingback