Bewusst atmen, achtsam durchs Leben gehen, ganz im Moment sein: Im Zusammenhang mit dem Thema Burnoutprävention wird auch immer wieder der Begriff der Achtsamkeit genannt. Ich war neugierig was hinter der achtsamkeitsbasierten Stressbewältigung steckt und habe Birgit Strasser, Psychologin, Pädagogin und MBSR-Lehrerin in Ausbildung, zum Interview gebeten. – Autorin: GF

 Gabriele Fischereder: Was versteht man unter MBSR“ und was hat das mit Stress zu tun?

Birgit Strasser: Die Abkürzung MBSR steht für „Mindfulness Based Stress Reduction“. Jon Kabat-Zinn, der Begründer dieses Kursprogrammes zur Stressreduktion, hat es ursprünglich für Patienten mit chronischen Schmerzen entwickelt. Heute weiß man aus einer Vielzahl an wissenschaftlich fundierten Studien, dass die Übungen des MBSR generell Menschen mit jeder Form von stressbedingten Belastungen dabei unterstützen ihre mentale und körperliche Gesundheit zu fördern.

 Gabriele Fischereder: Achtsamkeit ist ja gerade ein großer Trend, kannst du kurz beschreiben, worum es im Kern dabei geht?

Birgit Strasser: Du hast recht, Achtsamkeit ist gerade in aller Munde, auch wenn ihre Wurzeln eigentlich einer sehr alten Tradition entspringen. Sie beschreibt das bewusste Lenken unserer Aufmerksamkeit. Dabei kann der Fokus der Aufmerksamkeit nach Innen oder Außen gerichtet werden. In beiden Fällen geht es einfach darum, wahrzunehmen, was gerade gegenwärtig ist und sich auf diese Weise mit dem Hier und Jetzt zu verbinden.

Gabriele Fischereder: Wie kann uns Achtsamkeit im Zusammenhang mit Stressbewältigung helfen?

Birgit Strasser: Unser Stresserleben ist etwas sehr Subjektives und wird zum Großteil von unseren Gedanken beeinflusst, also z.B. ob wir eine Situation als bedrohlich oder herausfordernd einschätzen. Im Zusammenhang mit der Stressbewältigung ist es sinnvoll, stressverstärkende Gedanken zu erkennen, sich mit der Zeit von ihnen zu lösen, bzw. sie als bloße Gedanken zu identifizieren.

Achtsamkeit ist also eine Möglichkeit unseren Geist zur Ruhe zu bringen und unsere Bewertungs-Schemata zu unterbrechen. Mit Hilfe spezieller Übungen lernen Achtsamkeitspraktizierende ihren unruhigen Geist zu erforschen. Dabei können sie „gedankliche Grübelschleifen“ identifizieren und durch Innehalten und der Verbindung mit dem eigenen Atem angemessenes Handeln auch in Stresssituationen umsetzen.

Gabriele Fischereder: Was sind darüber hinaus noch Themenfelder, bei denen Achtsamkeit heilsam sein kann?

Birgit Strasser: Achtsamkeit ist ein Instrument der Selbsterforschung und auch ein Weg zu innerer Einsicht. Am Anfang der Achtsamkeitspraxis ist es hilfreich, sich dem Atem und den eigenen Körperempfindungen zuzuwenden. Der Atem ist von Geburt an ein ständiger Begleiter, er hilft uns sich im Körper zu verankern und zur Ruhe zu kommen.

Mit fortschreitender Praxis rücken auch die eigenen Gedanken und Gefühle in den Fokus der Aufmerksamkeit. Reiz-Reaktions-Muster in Stresssituationen werden erforscht und mit Hilfe von Achtsamkeit werden schrittweise Alterativen zu klassischen Stressreaktionen wie z.B. hektisches Verhalten oder Ärger erkannt, erweitert und bewusst genutzt. Das bedeutet, dass Achtsamkeit uns generell dabei unterstützt, gelassener durchs Leben zu gehen. So wie Jon Kabat-Zinn sagt: „Man kann die Wellen nicht aufhalten, aber man kann lernen zu surfen.“

Gabriele Fischereder: Was steckt hinter dem Thema ‚Mindful Leadership‘?

Birgit Strasser: Bei der Frage: „Was bedeutet es, eine gute Führungskraft zu sein?“ taucht schnell das Thema „achtsames Führen“ auf. Einige Konzerne, wie Bosch, Google oder DM sind bereits seit Jahren von der Wirksamkeit von Achtsamkeit als eine Maßnahme des „Betrieblichen Gesundheitsmanagements“ in Unternehmen überzeugt. „Mindful Leadership“ ist eine Form der Burnout-Prophylaxe und bildet die Basis für eine neue, achtsame Unternehmenskultur.

Gabriele Fischereder: Wie können sich Betriebe dieses Thema konkret zunutze machen?

Birgit Strasser: Es geht dabei unter anderem darum, als Führungskraft die Potentiale der Mitarbeiter zu sehen, menschliche Ressourcen zusammenzubringen und diese optimal im Unternehmen zu nutzen. Außerdem sollen Rahmenbedingungen für Entwicklung auf der einen Seite und Erholungsförderung auf der anderen Seite geschaffen werden. Aber auch der einzelne Mitarbeiter kann lernen, Achtsamkeit im turbulenten beruflichen Alltag umzusetzen, seine Bedürfnisse rechtzeitig wahrzunehmen und seine persönlichen Grenzen zu respektieren.

Gabriele Fischereder: Gibt es Tipps, wie wir Achtsamkeit in unseren Alltag integrieren können?

Birgit Strasser: Neben der formalen Achtsamkeitspraxis sind informelle MBSR-Übungen genauso wichtig, um Achtsamkeit im Alltag zu kultivieren.  Besonders Routine-Tätigkeiten, wie zum Beispiel Zähne putzen, abwaschen oder Autofahren, eignen sich dazu, Achtsamkeit zu üben. Es geht auch hier wieder darum, die Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit selbst zu richten, diese routinierten Abläufe bewusst mit allen Sinnen wahrzunehmen und mit Hilfe des sogenannten „Anfängergeistes“ Neues im Bekannten zu entdecken. Also anstatt Multitasking und Reizüberflutung, absichtsvolle Einfachheit in der Ausführung dieser Tätigkeiten walten zu lassen. Achtsamkeit im Alltag zu integrieren, ist somit eine lebenslange Aufgabe und Herausforderung.

Gabriele Fischereder: Letztens habe ich einmal von sogenannten „Achtsamkeitsspaziergängen“ gelesen. Was ist das genau und wie unterscheidet sich so ein Spaziergang von einem normalen Spaziergang?

Birgit Strasser: Bei einem Achtsamkeitsspaziergang geht es darum, alle Sinne auf Empfang zu schalten und ganz bewusst zu sehen, was es zu sehen, zu hören, was es zu hören und zu spüren, was es zu spüren gibt, ohne zu bewerten. Einfach neugierig und offen zu sein für neue Eindrücke. Am besten gelingt einem das, wenn man alleine unterwegs ist und keinen Zeitdruck hat. Das gleichmäßige Knirschen der Schuhe auf dem Boden wahrnehmen, die Bewegung der Blätter im Wind sehen und den Wind im Gesicht spüren. Wenn man sich auf dieses Abenteuer einlässt, kann man die Reichhaltigkeit der einfachen Dinge und des gegenwärtigen Moments erkennen und Schritt für Schritt, Gedanken und Gefühle einfach ziehen lassen und langsam innere Ruhe finden.

Gabriele Fischereder: Das klingt gar nicht so einfach.

Birgit Strasser: Natürlich ist auch diese Art des achtsamen Gehens ein Übungsprozess, besonders in unserer zielorientierten Leistungsgesellschaft, wo immer das TUN im Vordergrund steht und wir das einfache SEIN oft verlernt haben.

Gabriele Fischereder: Kann man bei Achtsamkeitsübungen auch etwas falsch machen?

Birgit Strasser: Jon Kabat-Zinn sagt: „Jede Aktivität, bei der man Achtsamkeit walten lässt, wird in gewisser Weise zur Meditation.“ So gesehen geht es auch genau darum „Nicht-Wissen“ zuzulassen, mit Anfängergeist das Leben zu erforschen, den eigenen Perfektionsanspruch loszulassen und mit achtsamer Aufmerksamkeit ins Leben zu starten.

Gabriele Fischereder: Wie läuft ein MBSR-Kurs ab und was können sich Teilnehmer davon erwarten?

Birgit Strasser: Der klassische MBSR-Kurs besteht aus 8 wöchentlichen Treffen zu je 2,5 Stunden. Dazwischen werden die Kursteilnehmer mittels Übungs-CDs zum täglichen Praktizieren angeleitet. Außerdem gibt es einen Tag der Stille, wo die im Kurs gelernten Übungen, wie der Body Scan, achtsame Yogaübungen und die klassische Sitz- und Gehmeditation, im Schweigen trainiert werden.

Für Menschen, die am Thema interessiert sind, ist ein 8 Wochen MBSR-Kurs sicher eine gute Gelegenheit, Achtsamkeit in ihr Leben zu integrieren und sich ausführlicher damit zu beschäftigen.

Gabriele Fischereder: Danke, Birgit, für das Interview!

 

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Mag. Birgit Strasser ist Pädagogin, Psychologin für Gesundheitsförderung und Zertifizierte MBSR-Lehrerin, www.achtsam-innehalten.at

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